Dr. med. Ruediger Dahlke, CoMED 2000

Die "Neue Medizin"

Große Aufregung um einen Mann und seine Medizin
DR. MED. RUEDIGER DAHLKE

Medizinstudium in München, Weiterbildung zum Arzt für Naturheilverfahren und Psychotherapie (Reinkarnationstherapie). Leitung von Fasten- und Meditationskursen und Seminare über Psychosomatische Medizin. 1990 Gründung des „Heilkunde-Zentrums Johanniskirchen“. Dort als Arzt und Psychotherapeut tätig.

In fast regelmäßigen Abständen lässt sich die Medizin und mit ihr ganze Teile der Gesellschaft von dem Namen „Dr. Hamer“ in Aufruhr versetzen. Wo immer er erwähnt wird, sorgt er für eigentümliche Aufgeregtheit. So war es auch, als er in der letzten CO´MED zu Wort kam. Auch ich bin mir bewusst, dass jedes Erwähnen oder gar Schreiben über das Phänomen „Hamer“ für Wirbel sorgen kann. Selten bin ich so verbal geprügelt worden wie bei solchen Gelegenheiten. Nicht nur die schulmedizinische Seite fällt nämlich über einen her, wenn man das Hamer-Tabu bricht und sich mit ihm auseinandersetzt, auch die eingefleischten Hamer-Fans reagieren äußerst genervt, wenn man auch nur ein bisschen an ihrem Idol kratzt. Trotzdem halte ich es für wichtig, sich mit dem Phänomen auseinanderzusetzen, und werde dieser Bitte der CO´MED-Redaktion – wenn auch mit gemischten Gefühlen – entsprechen. Österreich hallte im letzten Jahr wider vom Kampf um das Leben eines kleinen Mädchens namens Olivia, das an Krebs, genauer einem Wilmstumor der Niere, erkrankt war. Das Echo des Mediengewitters drang bis nach Deutschland. Die zugrunde liegende Situation war an sich leider wenig ungewöhnlich, denn viele Kinder erkranken an Wilmstumoren. Olivia unterschied sich nur dadurch von allen, dass die Öffentlichkeit in solchem Ausmaß gar an ihrem Schicksal Anteil nahm.

Der medizinische und mediale Kampf um ihr Leben war einzigartig, und das lag an dem Phänomen „Hamer“.
Olivias Eltern hatten sich, nachdem der bösartige Tumor bei ihrer Tochter diagnostiziert wurde, an Dr. Hamer gewandt. In der Klinik fühlten sie ihr Kind von Anfang an nicht gut versorgt, fürchteten vor allem, ihre sensible Tochter könne die vorgeschlagene Chemotherapie nicht überstehen. Es gelang den behandelnden Ärzten nicht, ihr Vertrauen zu gewissen, denn trotz heftigem Protest holten sie Olivia aus dem Krankenhaus, um sie zu Hause behandeln zu lassen.
Dr. Hamer ist ein Internist und ehemaliger Oberarzt, der sich durch einschneidende Erlebnisse zu einem des schärfsten und extremsten Kritikers der Schulmedizin gemausert hat.

Selbst unter Alternativtherapeuten nimmt er noch eine extreme Außenseiterposition ein. Mutig und ziemlich unbescheiden nennt er seine Medizin schlicht die neue und lässt damit alle anderen Richtungen alt aussehen. Die Schulmedizin lehnt seinen Ansatz in Bausch und Bogen ab – ohne ihn – jedenfalls nach seiner Ansicht – je angemessen geprüft zu haben. Nachdem Olivias Eltern – wie viele andere vor und nach ihnen – sich von der Schulmedizin abgewandt hatten, passierte zunächst gar nichts. Erst als sie Hamer ins Spiel brachten, bracht ein fast gespenstisches Szenario los. Sie erlebten ein regelrechtes Kesseltreiben, das in ihre Entmündigung von staatlicher Seite mündete.

Schulmediziner wollten ihr Kind entgegen ihrem Willen zurück in ihre Behandlungsgewalt bringen.
Die entmündigten und von der Androhung einer zwangsweisen Chemotherapie, die sie für ein Todesurteil hielten, verängstigten Eltern flohen daraufhin mit der Tochter vor dem Zugriff der Schulmediziner und versteckten sich zunächst in Österreich und später in Spanien. Natürlich spürte die Presse die Flüchtigen noch vor der Polizei auf und mit dem durchsichtigen Argument, das Beste für Olivia zu wollen, entfesselten die Journalisten einen beispiellosen Medienrummel. Die sichtbar schwer kranke Olivia wurde zum Ausgangspunkt für quotensichere Storys, die Eltern gerieten ins Kreuzfeuer der Kritik, da sie angeblich das Leben ihres Kindes gefährdeten.

Für Olivia begann eine furchtbare Tortur.
Dr. Hamer, der während Monaten offenbar keine andere Patienten zu behandeln hatte und wohl die Chance witterte, endlich öffentliche Anerkennung zu finden, war omnipräsent in den österreichischen Medien und stets an der Seite von Olivia und ihrer Familie zu sehen. Das Kind wurde zu seinem ganz persönlichen „Fall“ in einem schrecklichen Sinn. Als sich die Kontrahenten Hamer und Olivias ursprünglicher Kinderarzt, der die Entmündigung der Eltern bewirkt hatte, vor Fernsehkameras gegenüberstanden, wurde das Ganze sehr ehrlich.
Es ging kaum um das Kind, sondern nur darum, welche Seite Recht habe:
Hamer gegen den Rest der schulmedizinischen Welt.

Olivia war nur der Zankapfel zwischen den Fronten, und dabei brauchte sie nichts dringender als eine adäquate Behandlung, die seelische Unterstützung ihrer Eltern und vor allem auch Ruhe. Hamer, der – weiterhin Zuversicht ausstrahlend – auf die Eltern wie ein ruhender Fels in der Brandung des Mediengewitters wirken musste, wurde immer mehr zum Staatsfeind hochstilisiert und als eigentlich Schuldiger erkannt.

Auf Verführung, Kurpfuscherei, Sektierertum und sogar des versuchten Totschlages lautet das Medienurteil.
Alte Patientengeschichten, die bis dato kein Anlass zur Verfolgung waren, wurden ausgegraben und gegen ihn verwendet. Wenn es je eine Vorverurteilung gab, war es hier. Der Schuldspruch erfolgte durch die Medien und ohne auch nur den Anschein einer fairen oder seriösen Untersuchung der eigentlich wesentlichen medizinischen Fragen. Die ganze Zeit über verschlechterte sich Olivias Gesundheitszustand, was die Schulmediziner entsetzte, während Hamer – seiner Theorie entsprechend – das Tumorwachstum für normal und sogar gesund im Sinne der Selbstheilung erklärte. Spätestens nach Fernsehbildern von einem immer stärker aufquellenden Kinderbauch hielten wohl auch die letzten seiner eigenen Zunft Hamers Äußerungen für nicht mehr ganz normal, sondern ihn eher für unzurechnungsfähig. Wegen paranoider Persönlichkeitsentwicklung im Zusammenhang mit seiner Krebstheorie hatte man ihm schon Jahre zuvor in der Bundesrepublik Deutschland die Approbation und damit die Erlaubnis zur Ausübung der ärztlichen Heilkunde entzogen. Inzwischen kochte in Österreich die Volksseele, vom Bundespräsidenten bis zur Politik bemühten sich so ziemlich alle ebenso redlich wie vergeblich. Endlich gelang es der nach Spanien geflogenen Kinderärztin Marcovich, die für ihre ganzheitliche Einstellung selbst ins Feuer der Kritik geraten war, Hamer und Olivias, unter der Bedingung, dass die Eltern bei allen Behandlungsvorschlägen zugezogen würden und mitentscheiden dürften.

Kaum aber war Olivia der Schulmedizin übergeben, war dieses Versprechen nicht mehr der Rede wert.
Behörden, die sonst selbst mit Terroristen ziemlich ehrlich verhandeln und sich an einmal gemachte Zugeständnisse relativ genau halten, verloren plötzlich sämtliche Skrupel. Da es gegen Hamer ging und scheinbar der Ruf der Schulmedizin auf dem Spiel stand, schien der Zweck so ziemlich alle Mittel zu heiligen.

Schließlich kam es sogar zu einem Haftbefehl gegen Hamer.
In Deutschland ließen sich die Behörden von der Hysterie anstecken und stellten ebenfalls einen Haftbefehl aus, im Zuge dessen Hamer auch angeklagt und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Man konnte ihm leicht nachweisen, dass er ohne Approbation Krebspatienten behandelt hatte, was in Deutschland verboten ist. Dass bei ihm Krebspatienten gestorben waren, wurde ihm zu Verhängnis. Konsequenterweise müsste man dann aber jeden Arzt ins Gefängnis schicken.
Denn es gibt wohl keinen, der Krebspatienten behandelt, dem nicht auch schon Patienten gestorben wären.
Der Unterschied war aber, dass das bei approbierten Ärzten durchaus erlaubt ist, da man Hamer aber die Approbation entzogen hatte, konnte man ihn dafür ins Gefängnis schicken. In der Bevölkerung gilt er seither als verurteilt und viele denken, dass habe mit seiner Krebstheorie zu tun, die dadurch gleichsam gerichtlich für falsch erklärt wurde. Insgesamt hat es natürlich mit dieser Theorie zu tun, aber offiziell konnte er lediglich für sein Weiterarbeiten als Arzt verurteilt werden, obwohl man ihm Berufsverbot erteilt hatte.

Seine Theorie ist davon völlig unberührt.
Aber auch dieser formale Trick, sich Hamer für einige Zeit auf juristischem Weg vom halse zu schaffen, konnte an der Situation nicht viel ändern. Der Stand der Dinge ist, dass Hamer auch im Gefängnis – wie eigentlich zu erwarten – nicht von seiner Theorie abgeschworen hat und seine Anhänger noch aufgebrachter als vorher mobil machen. Olivia, die gegen den Willen der Eltern ins künstliche Koma versetzt und mit Chemotherapie behandelt wurde, ist inzwischen dank der schulmedizinischen Zwangstherapie wieder einigermaßen wohlauf und gilt der Schulmedizin als geheilt, während ihre Eltern auf die bleibenden Schäden hinweisen.
Die Begleitumstände der Zwangstherapie sind es wert, genauer betrachtet zu werden, um zu durchschauen, was für eine Posse hier ablief:
Olivias kämpferischer Vater bekam zeitweise Besuchsverbot bei seiner Tochter und durfte, wenn überhaupt, nur nach Leibesvisitation für einige Minuten zu ihr. Man hatte in der Klinik Angst, er könne trotz Verbot Photos von Olivia machen, Bilder, die sie in ihrem schrecklichen Leiden unter der Chemotherapie zeigten.

Zu fragen wäre hier:

Wie kommt eine Klinikleitung eigentlich dazu, einem Vater zu verbieten, seine Tochter zu photographieren?
Aber wenn der Name Hamer im Spiel ist, geht nur noch wenig mit rechten Dingen zu.
Die ganze beispiellose Eskalation hätte eine Fülle grundsätzlicher Fragen aufwerfen müssen. Die meisten davon gelten aber als ketzerisch, da die öffentliche Meinung darauf eingeschworen worden ist, in Dr. Hamer den Alleinschuldigen zu sehen. Statt einer seriösen Untersuchung des ganzen Dramas wurde lieber die Gelegenheit genutzt, gleich nebenbei Rundumschläge gegen alle Alternativen zur Schulmedizin zu führen. Die Geschichte zeigt in meinen Augen auch, wie weit es mit der Medizin gekommen ist und wie dringend sie Ergänzungen und, was ihr mangelndes Verständnis für alles Seelische angeht, sogar Alternativen braucht. Nur zu gern wurde übersehen, dass das Elend damit begann, dass es den ursprünglich behandelnden Schulmedizinern in der Klinik auch nicht annähernd gelang, das Vertrauen von Olivias Eltern zu gewinnen und sie von den in diesem Fall ja durchaus verfügbaren schulmedizinischen Therapiemöglichkeiten zu überzeugen. Das war umso bedauerlicher, als in diesem speziellen Fall die Schulmedizin laut Statistik neun von zehn Kindern helfen kann, da Wilmstumoren außergewöhnlich gut auch Chemotherapie ansprechen. Dass es Hamer gelang, auf der menschlichen Ebene das unbedingte Vertrauen der Eltern zu gewinnen, ist ihm nicht vorzuwerfen, denn das gehört in solch einer Situation eigentlich zu den Aufgaben eines Arztes. Dass die Schulmediziner hierzu unfähig waren, zeigt eher deren Defizit.
Die noch so richtigen Infusionen nützen oft wenig, wenn die richtigen Worte fehlen.

Enttäuschte verängstigte Eltern mit der Polizei verfolgen zu lassen, zeugt auch nicht gerade von Einfühlungsvermögen in die seelischen Bedürfnisse eines todkranken Kindes. Was geschieht eigentlich, wenn die Heilungschancen einmal umgekehrt stehen? Sollen in Zukunft auch Eltern entmündigt werden, um ihr Kind einer Zwangschemotherapie zu unterziehen, bei der statistisch nur eines von zehn Kindern überlebt? Zumindest müsste man solche Fragen angesichts solcher Übergriffe stellen dürfen. Glaubt man wirklich, man könne einen Arzt wie Hamer, der bereits alles verloren hat, durch eine Gefängnisstrafe auf dem Boden rein formaler Dinge mundtot machen? Bei Hamers Struktur wäre das wohl selbst in einer Diktatur nicht leicht. In einer Demokratie wirken solche Versuche geradezu lächerlich. Müssten Ärzte ihn nicht endlich inhaltlich widerlegen, statt darauf zu hoffen, dass ihnen Staatsanwälte mit formalen Tricks abnehmen, was sie selbst offenbar nicht schaffen?

Hier ergibt sich schon ein schrecklicher Verdacht:
Ist etwa an Hamers Thesen doch soviel Wahres dran, dass sie medizinischerseits nicht schlüssig zu widerlegen sind?
Das sind Fragen, die nur Medizyniker ruhig lassen können und eigentlich jedem wirklichen Arzt das Blut stocken lassen müssen. Die Lösung kann nur und muss von Seiten der Ärzteschaft kommen, das ist kein Fall für Staatsanwälte, Journalisten und Politiker. Hamer selbst wird wohl wenig beitragen und aus dem Ganzen auch nichts lernen wollen. Er gibt vor, schon alles zu wissen und die allein seligmachende Wahrheit gefunden zu haben. Abgesehen davon, dass sich jeder, der 100-prozentige Heilversprechen bei einer Krankheit wie Krebs macht, den Vorwurf der Scharlatanerie zuzieht, bleibt seine Theorie doch zumindest insofern wichtig, als viele Laien an sie glauben. Allein schon um deretwillen muss diese Theorie endlich seriös geprüft und widerlegt oder aber – was theoretisch, bis das Gegenteil bewiesen ist, möglich ist – als wahr erkannt werden. Immerhin wurden von der Medizin auch schon Ärzte wie Ignatz Semmelweis und Wilhelm Reich als wahnsinnig hingestellt und erst nach ihrem Tod rehabilitiert. Tausende von Müttern mussten erst noch sterben, bis die offizielle Schulmedizin zugab, dass Semmelweis Recht hatte und die Ärzte tatsächlich selbst das Problem waren, da sie durch ihr sogloses Tun die lebensgefährlichen Erreger zu den Schwangeren brachten.
Auch Hamer geht davon aus, dass erst durch die schulmedizinischen Krebsbehandlungen die oft hoffnungslose Situation entsteht.

Typisch ist, dass wir erst so spät in diesem Artikel zu seiner eigentlichen Theorie kommen. Das ist inzwischen leider überall so, wo es um ihn geht. Zwar wird über ihn viel diskutiert und in Ärztekreisen vor allem geschimpft, mit seinen Thesen befasst sich vor lauter Abwehr aber kaum noch jemand. Hamer behauptet, dass ausnahmslos jedem Krebs ein seelischer Schock vorausgeht, der zu einem Tumor im Gehirn führt, aus dessen Lokalisation sich Krebsart und –ort im Körper ergeben. Diese Regel nennt er die eiserne und besteht auch eisern darauf, dass es davon keine Ausnahmen gebe. Ganz abgesehen von dem Fanatismus, mit dem er seine Position vertritt, haben schon vor ich und bis heute viele Psychoonkologen vom Simonton über LeShan bis zu Büntig und mir darauf hingewiesen, welch zentrale Rolle die Seele bei Entstehung und Verlauf von Krebs spielt. 1 Hamer und sein egomanes Auftreten werden inzwischen sogar zu einer Gefahr für diese viel versprechenden und sicher nicht immer, aber häufig erfolgreichen Ansätze. Auch wir finden bei unserer vierwöchigen Krankheitsbilder-Psychotherapie mit Krebspatienten sehr häufig ein schockhaft unverarbeitetes Erlebnis in der Vorgeschichte, das offenbar das Immunsystem blockiert und dem Krebs erst die Chance gibt, wirklich auszubrechen.

Hamers Theorie klingt verblüffend einfach und unter einem bestimmten Blickwinkel geradezu genial:
Wenn ich seine psychologisch ziemlich naiv klingenden Deutungen wie etwa den Konflikt, den Brocken nicht erwischt zu haben, gutwillig prüfe, stelle ich fest, dass drei Viertel davon gut mit meinen Deutungen in „Krankheit als Symbol“ übereinstimmen. Natürlich kann man seine Bücher leicht in Bausch und Bogen ablehnen, denn sie sind zum großen Teil angefüllt mit Schimpfkanonaden auf seine Gegner. Dazu mischt er Erzählungen vom eigenen harten Schicksal mit der Ermordung seines Sohnes, die er ständig mit seiner Theorie auf eine wirklich unerquickliche Art vermischt. Aber dazwischen finden sich dann doch wieder Interpretationen, die es zu widerlegen oder zu würdigen gilt. Wenn sie so falsch sind, wie Schulmediziner immer wieder behaupten, müssten sie sie leicht und jederzeit widerlegen können.
Nichts anderes als eine ehrliche Prüfung verlangt übrigens Hamer seit vielen Jahren vergeblich.
Er behauptet weiter, dass bei jeder bisherigen Prüfung seine eiserne Regel bestätigt worden sei, nur die Prüfer danach vom Rest der Schulmediziner geächtet worden seien. Einige Hinweise bestätigen diese Behauptung. Selbst wenn seine Theorie nur in Teilen stimmt, könnte sie schon Wesentliches zum Kampf mit dem Krebs beitragen.
Es wäre geradezu die Pflicht einer Medizin, die auf das Prädikat wissenschaftlich stolz ist, darauf mit der gebotenen kritischen Distanz, aber auch mit Sorgfalt einzugehen.

Ein weiteres Problem mit Hamer ist, dass er neben seiner Grundtheorie noch eine Menge offensichtlich haltloser und von keiner oder nur geringer Kenntnis getrübte Aussagen auf äußerst apodiktische Art von sich gibt, mit deren Zitierung er sich sofort lächerlich macht und gemacht werden kann. Obendrein verdächtigt an Hamers Theorie erscheint mir, der ich Krebs ebenfalls als ein äußerst eng mit der Seele verknüpftes Geschehen kennengelernt habe, dass Hamer gar keinen Raum für psychotherapeutische Behandlung lässt, obwohl er immer seelische Gründe als Ursachen anschuldigt. Aus schulmedizinischer Sicht läuft seine Methode auf völlige Nichtbehandlung hinaus, was u. a. daran liegt, dass man dort die Psyche fast völlig ignoriert. Dem Psychotherapeuten in mir fällt aber auch bei Hamer auf, dass er aus seiner Ansicht kaum Konsequenzen zieht in Richtung einer wirksamen Psychotherapie. Er predigt zwar, der zugrunde liegende Konflikt müsse gelöst werden, dieser Hinweis allein nützt den Patienten aber wenig.

Sie brauchen Hilfestellungen zu solch einer Lösung. 
Bekommen sie diese im Rahmen einer Psychotherapie oder schaffen sie es aus eigener Kraft, kann das zu Spontanremissionen führen, wie die Schulmedizin Heilungswunder schamhaft umschreibt. Obwohl ich solche Heilungsphänomene miterleben durfte, halte ich Hamers Ablehnung von auch praktisch allen naturheilkundlicher Begleitmaßnahmen, die etwa die geschwächte Abwehrkraft steigern könnten, für geradezu unverantwortlich.

Krebs ist ein so bedrohliches Krankheitsbild, dass man grundsätzlich nichts unversucht lassen darf, was Erfolg verspricht.
Dass Hamer den Zusammenhang zwischen Rauchen und Bronchialkarzinomen, zwischen chronischer Verstopfung und Enddarmkrebs, zwischen der Katastrophe von Tschernobyl und den gehäuften kindlichen Leukämien leugnet, ist nur ein insgesamt lächerliches Anhängsel seiner Theorie, das aber keineswegs ausreicht, den ganzen Ansatz zu widerlegen. Auch dass Hamer offensichtlich nicht den geringsten Zugang zur Homöopathie hat und diese schon mal locker als wertlos bezeichnet, sollte uns nicht verleiten, ihn in Bausch und Bogen zu verdammen. Es gibt leider noch so viele Ärzte, die keine Ahnung von Homöopathie haben. Sie alle abzulehnen, hieße auch die meisten Schulmediziner abzulehnen. Trotz all dieser und weiterer Peinlichkeiten kann ich Hamers Theorie doch ernst nehmen, nur leider nicht prüfen, denn dazu bedarf es der Ausrüstung mit moderner Apparatemedizin wie Computertomographen, über die allein die Schulmedizin verfügt.
Insofern kommt ihr als seinem Hauptgegner auch die Aufgabe seiner Widerlegung (oder Bestätigung) zu.
Schließlich kommt im Fall Hamer noch ein besonders heikler Punkt hinzu, der die Schulmedizin besonders erregt und ihr einen weiteren Vorwand liefert, seine Theorie so komplett zu ignorieren:
Er behauptet nämlich, seine Einsichten über mediale Eingebungen durch seinen verstorbenen Sohn erhalten und jedenfalls bestätigt bekommen zu haben. Hier beginnt für viele materialistisch eingestellte Menschen, wie es die meisten Wissenschaftler sind, psychiatrisches Gebiet, und in diese Ecke haben sie Hamer ja auch abgeschoben. Menschen mit spirituellem Hintergrund wissen jedoch, dass viele heilige Schriften durchgegeben oder – modern ausgedrückt – gechannelt sind. Auf dem spirituellen Weg begegnen einem solche Phänomene gar nicht selten. Auch bezüglich der Channel-Szene könnte man feststellen, dass das meiste, was uns auf diesem medialen Weg erreicht, zwar gut gemeinter, aber doch leicht durchschaubarer und meist aus den Egoproblemen des „Kanals“ gespeister Unsinn ist.
Aber folgt daraus, dass es immer so ist?

Sind das Johannesevangelium und der Koran nicht erwähnenswerte Gegenbeispiele? Die Existenz von Falschgeld spricht eben gerade nicht dafür, dass alles Feld Falschgeld ist, sondern belegt im Gegenteil sogar eher, dass es auch echtes geben muss. Diese Erkenntnis kann nicht nur beim Phänomen von medialen Durchgaben helfen. Das fordert im Zusammenhang mit Dr. Hamer von der Ärzteschaft zugegebenermaßen viel Demut, die sich Hamer mit seinen beleidigenden Rundumschlägen kaum verdient hat. Wenn es aber um die Wahrheit in einem der kritischsten Bereiche der Medizin und um das Leben vieler zukünftiger Patienten geht, müsste es doch möglich sein, als der klügere Teil nachzugeben. Kommt es zu keiner Aufarbeitung des bereits zerschlagenen Porzellans, werden die Folgen des Dramas immer irrationalere Formen annehmen.
Wem ist geholfen, wenn Hamer rufmäßig weiter öffentlich hingerichtet wird – ohne Beweise und ohne seriöse Untersuchung?
Für seine Anhänger wird er so immer mehr zum Märtyrer und seine eigene Verschwörungstheorie bekommt weitere Unterstützung. Die Schulmedizin könnte sich fragen, ob sie es wirklich nötig hat, sich Patienten mittels Staatsgewalt zwangsweise zuführen zu lassen. Was Hamer selbst angeht, wäre zu bedenken, dass es nicht einmal die Sowjets seinerzeit geschafft haben, ihre Kritiker mittels Psychiatrisierung mundtot zu machen. Und Hamer ist ein ausgesprochener Dissident, wenn auch ein medizinischer. Soll seine Theorie, die tatsächlich das ganze Lehrgebäude der Schulmedizin grundsätzlich in Frage stellt, vom Tisch, bleibt letztlich nur der Weg der seriösen Überprüfung, nicht einmal nur Dr. Hamer, sondern seine zukünftigen Patienten, die die Schulmedizin lieber Opfer nennt, zuliebe. Entweder entzieht ihm die vorbehaltlose Überprüfung seiner Thesen alle weiteren Opfer oder die beschert ihm beziehungsweise jenen Psychotherapeuten, die wirkliche Hilfe im seelischen Bereich anbieten, eine Flut von neuen Patienten – je nach Ergebnis.

Nachdem sie sich so siegessicher und überlegen fühlt, müsste die Schulmedizin dieses „Risiko“ doch leicht eingehen können.
Alles andere trägt nur zu weitere Verwirrung bei und schade obendrein den übrigen Ansätzen im Bereich der Psychoonkologie.

1 siehe hierzu das allgemeine Kapitel „Krebs“ in „Krankheit als Sprache der Seele“ oder die Kapitel zu Brustkrebs, Gebärmutterkrebs und die anderen gynäkologischen Krebsarten in „Frauen-Heil-Kunde“ (beide bei Bertelsmann)

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