Psychologie heute - August 2004

BRUSTKREBS

Ärzte müssen Zuwendung lernen

Auch nach 30 Jahren psychoonkologischer Forschung und Praxis liegt bei der Betreuung von Brustkrebspatientinnen noch etliches im ArgenDie Diagnose Brustkrebs schockt in Deutschland jährlich 46 000 Frauen. Sie geraten in einen Ausnahmezustand, der lange anhält – nicht nur während der Therapie, die je nach Tumorbeschaffenheit zwischen 12 und 18 Monaten dauert, sonder auch noch Jahre danach, bis die seelische Belastung abgeklungen ist.

Nach der Diagnose geraten die Frauen in die Mühlen des Medizinbetriebs. Oft geschieht das viel zu schnell. Sie erhalten nicht die Zeit, sich zu informieren und gemeinsam mit ihrem Arzt in Ruhe die weiteren Schritte zu überlegen. Dabei ist die psychische Betreuung der Krebskranken vom ersten Tag an außerordentlich wichtig. Hier herrscht immer noch ein erhebliches Defizit – trotz 30 Jahren psychoonkologischer Forschung und der Etablierung psychoonkologischer Dienste an Universitätskliniken und großen Krankenhäusern.

Diese Tatsache wurde unlängst durch die Studie Die an Brustkrebs erkrankte Frau im Medizinbetrieb der Deutschen Krebshilfe bestätigt, für die 400 Betroffene ausführlich befragt worden waren. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass „viele Patientinnen mehr am Medizinbetrieb leiden als an ihrer Krankheit“. „Krasse Mangelzustände“ in der psychologischen Betreuung von Krebspatienten bestätigt auch Jens-Ulrich Rüfer vom Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Psychosoziale Onkologie in der Deutschen Krebsgesellschaft: „Nach wie vor messen viele Mediziner der Handlung deutlich mehr Bedeutung zu als der Kommunikation. Bei den behandelnden Ärzten muss die psychoonkologische Kompetenz erhöht werden. Außerdem müssen wir Konzepte erarbeiten, um bereits zum Zeitpunkt der Verdachtsdiagnose den Frauen Anhaltspunkte dafür zu geben, was in Zukunft auf sie hinsichtlich Operation, Behandlung und Nachsorge zukommt und wo sie zusätzliche Unterstützung einholen können.“

Dabei sind Onkologen und Selbsthilfegruppen durchaus gut in der Lage, Krebspatienten bei der Bewältigung ihrer lebensbedrohlichen Krankheit zu helfen, ebenso der Familien- und Freundeskreis. Weit abgeschlagen rangieren dagegen Hausärzte und Apotheker. Dies zeigen erste Zwischenergebnisse aus der mit 1000 Befragten bislang größten Fragebogenaktion zur Patientenzufriedenheit bei Krebserkrankungen (Schwerpunkt: Brust-, Blut- und Darmkrebs). Diese wurde vom Life Sciences Management Institut Berlin, das der Technischen Universität angegliedert ist, in Zusammenarbeit mit der Hubert-Burda-Stiftung, der Brustkrebsinitiative mamazone und der Darmkrebs-Selbsthilfegruppe Kirstins Weg sowie verschiedene Onkologen entwickelt und durchgeführt.

Die zentrale Frage lautet. „Was konnte Ihnen Ihr Hausarzt, Apotheker, Onkologe, die Selbsthilfegruppe, der Freundes- und Familienkreis oder das Internet geben, was Ihnen bei der Bewältigung der Krankheit geholfen hat?“ Dazu Fred Harms, der Leiter der Studie: „Die eindeutigen Aussagen gehen dahin, dass zwei Drittel der Befragten hauptsächlich von den Informationen ihrer Onkologen und den Selbsthilfegruppen profitierten. Lediglich 30 Prozent gaben an, von ihrem Hausarzt oder Apotheker sinnvolle Informationen zur Krankheit und ihrer Bewältigung bekommen zu haben.“

Außerdem zeigen die Antworten, dass Patienten, sobald sie aus ihrer passiven Rolle heraustreten und aktiv werden, durchaus selbst in der Lage sind, sich hilfreiche Informationen zu verschaffen. „Allerdings“, so Harms, „sagen vor allem Frauen, dass sie mit ihren behandelnden Ärzten kaum darüber sprechen können, wie es in ihnen aussieht, weil die Psychologie in der Onkologie noch immer nicht den Stellenwert hat, den sie verdient.“

Ferner zeigt die Studie die konstruktive Wirkung von Unterstützung aus dem Familien- und Freundeskreis. Kommt dort eine offene Diskussion über die Krankheit zustande, gehen sechs von zehn Patienten die Bewältigung mit Problemlösungen aktiv an. Ein offener Umgang mit der Krebskrankheit verbessert die Lebensqualität. Dabei spielt der Austausch im Internet ebenfalls eine wichtige Rolle – oder in einer Gruppe.

Dass es Frauen mit Brust- oder Darmkrebs, die an einem psychoedukativen Gruppenangebot teilgenommen haben, besser geht, zeigen aktuelle Vorabauswertungen der ersten randomisierten Multicenterstudie in Deutschland zu psychologischen Intervention bei Krebskranken. Die Studie an der Klinik für Tumorbiologie in Freiburg wurde Ende letzten Jahres abgeschlossen und auf dem diesjährigen Krebskongress im März vorgestellt: Insgesamt wurden 252 Patientinnen, die zum ersten Mal an Krebs erkrankt waren, in eine Sofortgruppe und eine Wartegruppe aufgeteilt. Die Frauen in der Behandlungsgruppe, die an zwölf wöchentlichen Sitzungen teilnahmen, zeigten nach eigener Einschätzung deutliche Verbesserungen in ihrer Lebensqualität und Befindlichkeit. Allerdings war diese Verbesserung im Vergleich zur Kontrollgruppe nicht so gravierend und überdauernd wie erwartet.

„Deshalb überlegen wir jetzt, wie wir das unterstützende psychologische Angebot für die Frauen noch verbessern und maßschneidern können“, kommentiert Studienleiter Joachim Weis, Leiter der Fachabteilung Psychoonkologie der Klinik für Tumorbiologie in Freiburg. Verbesserungsmöglichkeiten sieht er auch bei der Schulung von Onkologen, damit psychosoziale Probleme frühzeitig erkannt und entsprechende fachliche Hilfe eingeleitet werden kann. Er sagt: „Die betroffenen Frauen wollen mit ihren Ängsten und Sorgen ernst genommen werden. Wenn der Arzt auf diese Aspekte eingeht, wird das Vertrauensverhältnis nachhaltig verbessert und die Kooperation für die folgenden Behandlungsschritte gefördert. Die bereits existierenden Standards zur Gesprächsführung lassen sich von geschulten Ärzten mit wenig Zeitaufwand umsetzen.“
Zusammen mit anderen Forschergruppen erarbeitet Weis derzeit ein Konzept für eine weitere Studie, um die Annfälligkeit der Patientinnen für Folgeerkrankungen zu ermitteln. „Dazu gibt es in Deutschland überhaupt noch keine repräsentativen Aussagen. Es wäre wichtig zu wissen, in welchen Phasen eine erhöhte Empfindlichkeit für psychische Folgestörungen auftritt und wann der Betreuungsbedarf am höchsten ist, wenn Symptome der Angst oder Depression sowie als Begleiterscheinung die Fatigue (chronische Müdigkeit und Erschöpfung) auftreten.“
Für krebskranke Frauen ist es wichtig, die anfängliche Verunsicherung zu überwinden und neues Selbstbewusstsein aufzubauen. Dies kann auch aus einem attraktiven Äußeren erwachsen. Das mag einer der Gründe sein, warum die Kosmetikkurse der Initiative Aktiv gegen Krebs, die in 130 Städten an Kliniken und Rehaeinrichtungen angeboten werden, von so vielen Frauen besucht werden.

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